Anne Bude: Hier wird Dir geholfen
Das „Lindener Büdchen“ an der Hattinger Straße ist Anlaufpunkt für alle
Es gibt Kioske, die verzichten auf die Rundumversorgung, die es früher mal an der Bude gab. Und es gibt welche, die setzen genau darauf. So ein Kiosk ist das Lindener Büdchen an der Hattinger Straße 747.
„Wir haben Mehl, Zahnbürsten, Tierfutter, Präservative“, lacht Gülcü Ismahan, die das Lindener Büdchen gemeinsam mit ihrem Sohn Refik und Rocco Antonio Furiano, einem Freund der Familie, betreibt – und man fragt sich, wo das alles Platz hat in der kleinen Bude gegenüber des alten Erotikkinos „El Brasi“. „Wem was in der Küche fehlt, der ist hier, wer was trinken oder rauchen will natürlich auch, wir sind ein ganz traditionelles Büdchen, so wie es früher war“ sagt die Eppendorferin.
Einmal die eigene Wahrheit loswerden
Das Lindener Büdchen ist aber auch Sozialstation und Seelsorge. So mancher kommt vorbei, um bei einem Kaffee ab einem Euro mal vom Leben zu erzählen. „Kiosk ist Seelsorge zum Abkotzen“, sagt Gülcü Ismahan und meint das ganz und gar nicht negativ. Eben ein Ort, an dem man seine eigene Wahrheit mal loswerden kann, ohne Rücksicht auf Verluste, ein geschützter Raum.
Und wer Hilfe braucht, ist beim Lindener Büdchen offensichtlich auch gut aufgehoben. Es kommen Leute ohne Telefon vorbei, die ein dringendes Gespräch führen müssen. Oder jemand wie eine alte Dame vor ein paar Jahren: „Da kam eine Frau aus der Nachbarschaft, die wir kannten. Die fragte: Ismi, hast Du was zu essen? Da stellte sich raus: sie hatte schon lange nichts mehr zu essen gehabt, kein Geld, nichts“, erzählt Gülcü Ismahan, „dann haben wir uns um sie gekümmert, wir sind mit ihr zum Arzt gegangen, haben uns um Behördensachen gekümmert, haben für eine Betreuung gesorgt und letztlich für einen Platz in einem Pflegeheim. Größtenteils hat das mein Sohn gemacht, zwei Jahre haben wir gekämpft, dass sie unterkommt. Ich finde aber, so was gehört dazu, wenn man ein Büdchen macht. Das Geben und Nehmen funktioniert hier gut.“
Lindener Büdchen ist offiziell ausgezeichnet
So viel Nähe wurde auch schon belohnt: Beim „Tag der Trinkhalle“ wurde das Lindener Büdchen bereits als beste Bude ausgezeichnet. In diesem Jahr will man wieder dabei sein. „Wir sind eben immaterielles Kulturerbe“, lacht Ismahan.
Wenn mal keiner vor die kleine vergitterte Verkaufsluke tritt, häkelt Gülcü Ismahan. „Einmal ist jemand vorbeigekommen, der wollte mir ein Muster abkaufen“, sagt sie. Das sind Dinge, die einem im Büro nicht passieren. Und das alles, obwohl man vor der Bude nicht parken kann. Ansonsten kommt die Straßenbahn nicht durch. „Aber wer zu uns will, der parkt überall“, so Ismahan.
Geöffnet hat das Lindener Büdchen von morgens sechs bis abends um neun, das ist harte Arbeit. Weil schon vorher die belegten Brötchen fertig sein müssen, das Sucuk-Toast oder der Latte Macchiato, für all diejenigen, die vor der Arbeit noch schnell was in den Magen brauchen. So wie der junge Mann von der Telekom, der sich eine Coladose kauft und eine gemischte Tüte für zwei Euro zusammenstellen lässt. Ein ganz normaler Kiosk-Einkauf eigentlich. Aber der Mann verabschiedet sich von Gülcü Ismahan mit den Worten: „Du bist ein Schatz!“ Das sagt eigentlich alles.
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