Eine Reise nach Bethlehem
Autor Michael Ragsch recherchiert für sein neues Buch
Im Dezember ist es das meistbesungene Städtchen der Welt: Bethlehem, weltberühmt als Geburtsort Jesu. Untrennbar verbunden mit dem Weihnachtsfest.
Die Corona-Pandemie hat Bethlehem, das zu großen Teilen vom Tourismus abhängig ist, schwer getroffen. Unseren Mitarbeiter Michael Ragsch zieht es immer wieder in den Ort in der palästinensischen Westbank. Im November war er wieder einmal da.
Von Jerusalem nach Bethlehem
Der Bus 231 bringt mich vom Damaskus-Tor in Jerusalem in Bethlehems Vorort Beit Jala auf palästinensischer Seite. Bethlehem ist von Jerusalem durch die israelische Sperranlage getrennt, ein bis zu acht Meter hohes Monstrum, das die Sicherheit Israels sicherstellen soll. Bei der Einreise wird unser Bus nicht weiter kontrolliert. Erst auf der Rückfahrt werden schwerbewaffnete Soldaten einen Blick auf die Pässe und Ausweise werfen.
In Beit Jala begrüßen mich wie üblich zuerst die Taxifahrer, die an der Bushaltestelle auf Touristen warten, die vielleicht sogar bis nach Jericho wollen. Man merkt ihnen an, wie frustriert sie sind, nachdem ihnen Corona jetzt schon anderthalb Jahre einen ziemlichen Strich durch die Rechnung macht. Ich nehme kein Taxi, sondern werde von Nadir Mauge abgeholt, den ich vor über zehn Jahren in Wattenscheid kennengelernt habe – bei einem Schüleraustausch der Pestalozzi Realschule, den ich damals als Journalist begleitet habe. Nadir ist Fotograf und Filmemacher, mit ihm habe ich das Buch „Väter des Heiligen Landes“ über Mönche in Israel und Palästina aufgelegt; schon 2019 haben wir mit dem Nachfolgeprojekt über Nonnen, die „Schwestern des Heiligen Landes“, begonnen. Nun endlich können wir die Arbeit fortsetzen, nachdem Israel zum 1. November die Einreise in großem Stil wieder freigegeben hat.
Katharinenkirche ist erstes Ziel
Unser Ziel an diesem Sonntag ist die katholische Katharinenkirche direkt neben der berühmten Geburtskirche, in der schon früh eine Höhle als Geburtsort Jesu verehrt wurde. Ich liebe die arabischen Gesänge im Gottesdienst, der auch heute gut besucht ist. Maskenträger sind eine zu vernachlässigende Minderheit, Nadir und ich gehen mit gutem Beispiel voran. Dann die Mittagspause in einem Restaurant, in das sich sonst nur ein paar Einheimische verirrt haben. Auch die Händler im Basar klagen über fehlende Einnahmen durch ausbleibende Touristen. Immerhin sind in Bethlehem ein paar Bars neu entstanden, so dass man nun fast von einer Infrastruktur sprechen kann.
Besuch im Waisenhaus La Crèche
Am Nachmittag besuchen wir das Waisenhaus La Crèche („Die Krippe“), über das ich mein erstes Heiligland-Buch geschrieben habe. Es ist ein Ort, an dem Tragik und Hingabe aufeinandertreffen. Ein Ort, an dem unerzählte Geschichten von Kindern gesammelt werden, für die in der palästinensischen Gesellschaft kein Platz ist; ungewollte Kinder, die hier abgegeben werden – oder die irgendwo in der Westbank ausgesetzt worden sind, manchmal in Pappkartons. Einige haben das Glück, dass sie im benachbarten Malteser Krankenhaus zur Heiligen Familie zur Welt kommen, um dann erst einmal in der Crèche zu bleiben. Katholische Vinzentinerinnen führen die Einrichtung mit der Unterstützung hauptamtlicher Kräfte. Die Zukunft der Kinder ist in jedem Fall ungewiss in einer vor allem muslimisch geprägten Gesellschaft, die Adoptionen nicht vorsieht. „In der Pandemie ist alles noch schlimmer geworden“, erklärt mir Schwester Laudy, „wir haben jetzt fünfzig Kinder hier.“
Auf einmal öffnet sich eine Tür, und völlig unerwartet betritt Schwester Sophie den Raum, die legendäre frühere Leiterin des Kinderheims, die stramm auf die Neunzig zugeht. Sie strahlt und fällt mir um den Hals – und ich weiß nun endgültig, dass die Crèche auch im neuen Buch vorkommen wird, vorkommen muss.
Terroranschlag und Pandemie
Ich fahre zurück nach Jerusalem, wo die Masken-Disziplin ebenfalls zu wünschen übriglässt. Manchmal kommt es mir vor, als sei ich der einzige in der Altstadt mit dem Fetzen über Mund und Nase. Es macht mir nichts aus. Aber Israel hat relativ überzeugende Corona-Zahlen, nachdem ganz offensichtlich das energische Boostern erfolgreich war. Für kurze Zeit löst aber Sicherheit die Pandemie als Topthema in der Altstadt ab. In unmittelbarer Nähe zu meiner Unterkunft werden zwei Terroranschläge verübt. Ein jüdischer Touristenführer wird getötet, mehrere Menschen verletzt. Die beiden Attentäter überleben ihre Taten nicht.
Am Tag meiner Abreise erschüttert wieder eine Nachricht mit Corona-Bezug die Tourismusbranche im Heiligen Land: Israel macht nach wenigen Wochen wieder dicht. Omikron – und Reisende werden nicht mehr ins Land gelassen. Nach Deutschland fliegen darf ich noch. Ich werde wiederkommen, wenn sich irgendwann wieder ein Fenster öffnet.
Bericht und Fotos: Michael Ragsch
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